Heute möchte ich mit den ersten Zeilen eines Gedichts von Rainer Maria Rilke meinen Blogeintrag beginnen. Rilke schreibt über die Geduld: "Mann muss Geduld haben und den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen...."

Die Frage ist, können wir diese Geduld aufbringen, wollen wir sie aufbringen, um den Dingen den Raum, die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln? Ist Geduld eine Fähigkeit, welche in unserer Gesellschaft erwünscht ist? Ist Geduld nicht ein Widerspruch zu unserer schnelllebigen, ergebnisorientierten Gesellschaft? Ist Geduld eine Fähigkeit, in der wir uns üben sollten?

Also ich bin wahrlich kein Meister in dieser Disziplin, eher ein Lehrling, ein Schüler mit oftmals ganz miserablen Noten. Ich ertappe mich selber regelmäßig dabei, ein so rasendes Tempo vorzulegen, dass ich mir nicht selten selber hinterher laufe und es für viele Mitmenschen unmöglich macht, gemeinsam mit mir die Ziellinie zu überschreiten, sprich ein Ergebnis zu erreichen. Aber, ein Lehrling, wie der Name schon sagt, sieht seine Aufgabe darin, zu lernen, und der erste Schritt etwas zu verändern, ist immer die Achtsamkeit, die eigene Wahrnehmung. Was ich damit sagen möchte: Ich nehme meine Ungeduld wahr, manches Mal ein bisschen zu spät, aber wenn ich die Geduld aufbringen kann, den Dingen besagten Raum zu geben, kann ich hinterher feststellen, dass die Ergebnisse, so wie sich die Dinge dann entwickeln, ohne Zwang und Druck, immer zu einem guten, wenn auch etwas anderem Ende führen.

Kann ich die Geduld aufbringen, eine Nachricht oder Email, einen Facebook Post oder einen Beitrag zu veröffentlichen ohne sofort und am besten innerhalb der nächsten Minuten, Sekunden eine Antwort, eine Rückmeldung ein „Gefällt mir“ zu bekommen? Oft ertappe ich mich dabei, wie ungeduldig ich in Bezug auf diese Medien bin. Ein anderes ganz lustiges Beispiel: Können wir an der Fußgängerampel stehen und geduldig warten, bis das Ampelmännchen uns das Zeichen gibt: Los! Oder drücken wir nach kürzester Zeit wie von Sinnen gleich zehnmal den Knopf, um der Ampel zu sagen: „Ich will jetzt und sofort die Straße überqueren!“ Nur leider lässt sich weder die Ampel noch das Ampelmännchen davon beeindrucken - es nimmt sich einfach die Zeit die es braucht. Und dann gibt es noch zwei Wörter die für viele so gar nicht zusammen gehören: die Geduld und das Auto. Ich denke da ertappt sich jeder von uns aufs Neue, wie ungeduldig wir sind.

Wie wichtig ist uns die Geduld in persönlichen Gesprächen? Können wir geduldig sein und unserem Gegenüber einfach zuhören, ohne bei jedem gesprochenen Wort sofort eine Assoziation zum eigenen Erlebten aufkommen zu lassen und dem Gesprächspartner ins Wort zu fallen, das eigene Erlebte, die eigene Meinung kund zu tun? Können wir mit der nötigen Geduld zusehen und zuhören, auch wenn das Gehörte und Gesehene so gar nicht nach unseren Vorstellungen ist?
Können wir es ertragen, ein Problem oder ein Thema, welches uns beschäftigt, etwas Unangenehmes einfach ohne Schlusspunkt, ohne die ultimative Lösung, ohne ein Ende einfach so für sich stehen zu lassen? Können wir in und mit der Liebe geduldig sein? Können wir geduldig jemandem oder etwas beim Wachsen zusehen? Dazu fällt mir ein afrikanisches Sprichwort ein: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!"
Mir ist bewusst, dass manche Entscheidungen sofort getroffen werden müssen, ja, manches Mal ist schnelles Handeln unbedingt erforderlich. Nur, wie oft geht es bei solchen Entscheidungen wirklich um Leben und Tod? Könnten wir nicht mit etwas geduldigerem Ausharren den Dingen die eigene Entwicklung zugestehen? Wie wäre das? Ich bin mir auch nicht zu hundert Prozent sicher, ob das immer die richtige Lösung ist, aber wie so oft im Leben, könnten wir uns einfach darauf einlassen, es ausprobieren und spüren wie es sich anfühlt.

Etwas unbeendet zu lassen, lässt uns Möglichkeiten offen - alle Möglichkeiten, auch Möglichkeiten, die wir zuvor niemals in Betracht gezogen haben. Und das ist ganz wunderbar. Ich bin der Überzeugung, dass es nicht notwendig ist, immer alle Türen zu schließen, einen Punkt, einen Schlusspunkt zu setzten. Nicht jede Geschichte hat und braucht ein perfektes Ende, vor allem nicht das von uns ersehnte, gewünschte Ende, kein „no way back“… ein paar Gedankenpünktchen sind manches Mal ganz hilfreich und eine gute Idee! Und ich glaube, wir werden den Weg zurück finden, werden wieder die Spur aufnehmen, wenn die Zeit gekommen ist, um die Geschichte zu beenden. Vielleicht sogar mit einem ganz anderen Ausgang, als zuvor angedacht und ersehnt, als zuvor von uns so unbedingt gewollt. Aber dazu braucht es … Geduld.

Eure Christina

Text & Bild Christina Kohlberger / 24.05.2017